«Für Diebe gibt es Gefängnisse, für Künstler Musee ». So die Ansage von Jean Tinguely (1925-1991) als er 1988 in La Verrerie, einem Ort zwischen Freiburg und Lausanne, eine stillgelegte Fabrikanlage erwirbt. Innert vier Jahren richtet er hier mit unbändiger Energie und ohne Unterlass sein «totales Antimuseu » ein. Er nennt die Fabrik «Torpedo Institut» und verwandelt die 3’000 Quadratmeter grosse Industriehalle in sein Atelier – sie wird Werkstatt, Theaterbühne, Kunstwerk und Ausstellungsort zugleich. In den weiten, dunklen Hallen stellt Tinguely nicht nur eigene Maschinen und Skulpturen aus, sondern auch Werke von Saint Phalle, Aeppli, Luginbühl, Spoerri, Podestà, Vautier und anderen. Tinguelys Antimuseum ist ein Ort mit unvorhersehbaren Öffnungszeiten und unergründlichen Einlassbedingungen. Ein Ort, der sich ständig weiterentwickelt und wo eigene Regeln herrschen. Im Grunde ein Gesamtkunstwerk, das die eigentliche Synthese und den Erfolg von Tinguelys Karriere formal wie konzeptuell zusammenbringt. Das Torpedo Institut wurde nach Tinguelys Tod gegen seinen testamentarischen Willen aufgelöst. Es taucht in keiner Werkliste auf und wird im Diskurs über Tinguely kaum erwähnt. Es fehlt selbst im jüngst veröffentlichten Sammlungskatalog des Museum Tinguely Basel, das eine revidierte Sicht auf das Werk des Künstlers zu geben verspricht.
Jean Tinguely. Torpedo Institut weist diesem Antimuseum nun seinen gebührenden Platz im Spätwerk des Schweizer Künstlers zu. Es ist eine erhellende und authentische Dokumentation, die das Torpedo Institut erstmals in seiner Gesamtheit zu rekonstruieren versucht. Die Publikation ist wichtig und aufregend. Sie leistet einen dringlichen Beitrag zur Rezeption von Tinguelys Werk und stellt unmissverständlich Fragen: Wie wird mit künstlerischen Nachlässen umgegangen? Welche Art von Rezeption wird gefördert? Welche wird unterbunden? (Mirjam Fischer)