Photographs ist nach Drawings (1997), Paintings (2001) und Kirschgarten (2005) das vierte Künstlerbuch, das die Edition Patrick Frey mit der in Philadelphia geborenen und dort lebenden Künstlerin publiziert. Es zeigt erstmals umfassend das bisher nur vereinzelt ausgestellte, noch weitgehend unbekannte photographische Werk von Karen Kilimnik, die in den 80er-Jahren durch ihre installative «scatter art» und später durch ihre Malerei bekannt geworden ist.
Karen Kilimnik fotografiert mit der gleichen Geste mit der sie malt: mit diesem untrüglichen Gefühl für das Zuviel an schönem Schein, in dessen Glanz sich der Schatten des Monströsen verbirgt. Sie liebt den Kitsch, aber sie fotografiert das Kitschige mit diesem geschärften Blick für seine unwiderstehliche Verlogenheit. Sie ist eine weise alte Seele, beseelt von dem unbedingten Willen, sich die Unschuld und die höchst verletzliche Offenheit eines jungen ruhelosen Bewusstseins zu bewahren. Ihre Fotografie ist im Bourdieu’schen Sinne eine perfekt ausbalancierte Mischung zwischen «rituell» und «künstlerisch». Karen Kilimnik fotografiert, was sie bedingungslos liebt und diese Liebe ist eklektisch und von dunkler romantischer Abgründigkeit.
Sie fotografiert die Idylle bis hin zur Unerträglichkeit, die beinahe unwirklich lauschige Hügellandschaft der südenglischen Cotswolds, ein Damenfahrrad, von Hecken gesäumte Strässchen, Schafe im Schatten eines Baumes, Kühe im Morgennebel, ein Eichhörnchen, das scheinbar an einer Blüte knabbert, fünf ruhende Enten, seltsam angeordnet am Ufer eines Flüsschens. Sie sieht die profane Wirklichkeit durch die gnadenlos offenen Augen ihrer Kunst. Fotografierend verwandelt sie die Realität in eine Bühne für ihre märchenhaft versponnenen, ihre verträumt- alptraumhaften Figurationen und Arrangements. Wenn die Wirklichkeit nicht genug hergibt, hilft sie nach, dekoriert das Reale und hängt gläsernen Weihnachtsschmuck oder Lichterketten an die Bäume im Garten ihres Hauses. In Kilimniks Fotografie finden sich viele Motive, die wir von ihrer Malerei her kennen, fast obsessiv fotografiert sie auch immer wieder bestimmte Details der Malereien selbst, so etwa die herrschaftlichen Schlossfassaden, wie um beschwörend darauf hinzuweisen, dass das von ihr gemalte Fiktive nicht weniger real sei als die sogenannte Wirklichkeit. Sie arrangiert kostbare Parfümflakons, feines Porzellan, Silberware, Modeschmuck und altrosa leuchtende Rosen auf glänzenden Seidenstoffen und fotografiert diese Arrangements wie leicht benebelt vom Duft «Elizabethan Rose», der von Penhaligon’s offiziell mit «eher deliziös vergiftend als süss, erfüllt vom Duft des Hochsommers» beschrieben wird.
Sie hat ein Flair für zauberhafte Schnappschüsse: ein Überrest von Schnee auf einer Wiese bekommt die Gestalt eines Häschens. Durch den weissen, von oben eindringenden Lichtschleier einer fehlerhaften Belichtung legt sich ein Spuk über ein ganz alltägliches Haus.
Kilimniks fotografisches Auge ist manchmal flanierend, ausgestattet mit einem grossartigen Gespür für die Verführungs- und Verwandlungskraft der Unschärfe und dann wieder zielgerichtet und scharf fokussiert. Sie streunt durch ihre Lebenswelt und fotografiert, was ihr gefällt: Blumen, immer wieder Blumen, der Blick streift durch Blumenwiesen, versinkt in Sträussen und Blüten; ein Korb voll Gemüse frisch vom Markt, wie aus einem Roman von Cecelia Ahern, Ballettszenen, darunter auch ihr eigenes Bühnenbild für Psyché an der Pariser Oper, Food-Photography, delikat bis degoutant, eine Gasse mit niedrigen alten Backsteinhäusern in Philadelphia, dem Ort ihrer Kindheit, Fotos ab TV mit Kindergesichtern aus einem Holocaust-Film, Orgien von Kronleuchtern, die Lichter eines Flughafens, die in der Unschärfe wie Pailletten wirken, Baumwipfel, dunkel, sturmgepeitscht, nebelverhangen, ein toter Vogel, die Lagune von Venedig, Schneelandschaften, nächtliche Winterbilder in denen die Flocken wie kleine Lichter fallen, der Central Park mit Kutsche im Schnee, das Flatiron Building hinter kahlen Bäumen, leicht unscharf wie ein berühmter Vintage-Print, den wir von irgendwoher zu kennen glauben.
Patrick Frey