Der Filmemacher Iwan Schumacher, bekannt durch seine Porträts von Künstler:innen, kaufte sich Anfangs 1972 einen kleinen Fotoapparat, den er nun ständig mit sich trug – die Kamera als Notizbuch. Schumacher liess sich fortan von Landschaften, Personen und Lichtstimmungen verführen, denen er begegnete. Die kleine Canon ermöglichte ihm ein absichtsloses Fotografieren, ohne vorgegebenes Thema, ähnlich wie wir das heute vom Handy her kennen.
Die erste Jahreshälfte von 1972 verbrachte Schumacher in England, wo er seit anderthalb Jahren an einer Kunstschule Fotografie unterrichtete. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz assistiert er auf einem Dokumentarfilm und bereitet seinen ersten Film in eigener Regie vor. Mit der Zeit verspürte er immer weniger Lust, sein fotografisches Tagebuch fortzuführen. Ende 1972 hörte er auf mit Fotografieren und wandte sich ganz dem Film zu.
Die von Schumacher porträtierten Arbeitskolleg:innen, seine Freund:innen – alle sind sie jung, auf der Suche nach ihrer Stellung in Beruf und Gesellschaft. Ihre Portraits vermitteln eine Stimmung, schwankend zwischen Aufbruch und Melancholie. Nicht nur Freund:innen tauchen auf: ein Lumpensammler, ein Briefträger, eine Mutter mit ihrer Kinderschar. Es gibt ein Porträt von Alfred Hitchcock und ein Foto von einem Liebespaar im Schlaf. Die Zeiten von «Swinging London» waren vorbei, England gelähmt von Streiks und Power Cuts. Die Schweiz ist unter anderem vertreten mit Wohnsilos am Stadtrand und einem Stillleben mit Sinalco-Aschenbecher und einem Menage mit Knorr-Gewürz. Schumacher produzierte weder Postkarten noch Sozialreportagen. Viele Fotos sind en passant aufgenommen aus dem Auto- oder Zugfenster, oft sind sie unscharf, es haftet ihnen eine poetische, traumhafte Qualität an.
Von den dreitausend Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die in dem einen Jahr entstanden sind, traf Schumacher eine Auswahl von rund 120 Fotografien. Die Bilder suggerieren in ihrer assoziativen, filmischen Abfolge mögliche Geschichten.