The Rendering Eye zeigt Screenshots des urbanen Amerikas, wie sie in der 3D-Darstellung von Apple Maps erscheinen: Strassen, Gebäude und Industrieanlagen ohne Menschen, beinahe post-apokalyptisch. Autos und Schiffe werden zu ephemeren Schatten, Bäume verpuppen sich zu Skulpturen, Container schmelzen, Maschinen verformen und Strassen verwerfen sich. In der geisterhaften Welt von Apple Maps regieren erstaunlich mimetische, sich den Konturen der Welt anschmiegende, trotzdem aber von der «Wirklichkeit» heillos überforderte Algorithmen. Die Software wurde ursprünglich für zielsuchende Raketen entwickelt und ist seit einigen Jahren declassified. Nun bringt sie Bilder hervor, die zugleich an die dystopischen Metropolen von Blade Runner wie an das expressionistische Häusermeer in Das Cabinet des Dr. Caligari, an die futuristischen Bauten von SimCity oder an Camille Pissarros lichtdurchtränkte Boulevards erinnern.
Die Stadtansichten, die Regula Bochsler für dieses Buch eingefangen hat, sind abstrakt, maschinengeneriert, kalt. Dennoch sind sie von zuweilen überbordender, manchmal auch poetisch zarter Farbigkeit. Dank ihrer «Fehler», ihren verwischten Linien, Verzerrungen und Spiegeleffekten wirken sie wie von Menschenhand gemacht. Nicht zuletzt deshalb sind sie von obskurer malerischer Schönheit. Die Historikerin und Publizistin Regula Bochsler und der Historiker und Fotograf Philipp Sarasin reflektieren die foto- und medienwissenschaftlichen Implikationen dieser algorithmisch generierten Stadtansichten, die in technisch avanciertester Weise unsere «Neue Welt» zeigen.
Drei Texte begleiten die virtuelle Flyover-Expedition: Regula Bochsler schreibt über die Anfänge der klassischen Luftfotografie, ein Essay des Theoretikers Bernd Stiegler bietet die fotografiehistorischen Folien zu den Bildern, während der Redakteur des Magazins MIT Technology Review, Tom Simonite, die militärischen Ursprünge der Apple-Technologie beleuchtet.
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Schönste Schweizer Bücher, 2014